Carlos Ferrer

Hungernd lesen - satt lesen

800px-Maslow_Bedürfnispyramide.svg: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Maslow_Bedürfnispyramide.svg (Foto: Wikimedia Commons)

Ein satter, schuldenbefreiter Mensch sieht anders auf das Leben als ein hoffnungslos verschuldeter, hungriger. Während Hunger und Schulden an uns nagen, bleibt uns weniger Zeit um uns für andere Sachen zu kümmern, als die Beschaffung von Brot und Geld. Die Musse, sich mit geistlichem oder kulturellem zu kümmern, wird dann leicht zum Luxus.
Carlos Ferrer,
Von der Perspektive eines Satten Menschen, kann ein gutes Mobiltelefon in den Händen eines Geflüchteten oder einer an den Rand der Gesellschaft Gedrückten als unnützer Luxus scheinen. Ein Blick auf die Bedürfnispyramide Abraham Maslov's zeigt jedoch, dass in der Welt von Heute, ein geladenes Akku, gratis WLAN und eine bezahlte SIM Karte genauso wichtig sind, wie Unterkunft und ein warmes Essen. Wie sonst sollen die, die nach Grundbedürfnissen suchen und vielleicht betteln müssen, an die Hilfe kommen, die vorhanden ist?

Menschen, die nichts haben müssen beweglich sein, sonst kommen sie nicht an die Nahrungsmittel, die von "» Caritas" oder "» Tischlein deck dich" zu gegebenen Zeiten gespendet werden. Sie kommen zu spät in die » Notunterkunft bei der Heilsarmee oder finden die » Gassenküche in SO nicht.

Hungrige und höchstverschuldete haben weniger Zeit, sich um ihre Sicherheit, soziale Bedürfnisse (wie Partner, Kinder, Familie), Anerkennung oder Selbstverwirklichung zu kümmern, als die, die wissen, wann die nächste Mahlzeit auf den Tisch oder wie die nächste Rate (oder zwölf!) bezahlt werden.

Wenn also eine satte und sich in Sicherheit befindende Person die Bibel liest, erkennt sie häufig nicht, wie hungrig, verschuldet und gefährdet die meisten Menschen, die dort vorkommen, waren. Nehmen wir die Geschichte von der » Speisung der Fünftausenden. Die hatten nicht nur ihr Picknick zuhause vergessen. Sie hatten nichts ausser die Worte, die Jesus zu ihnen sprach. Als von Jesus, unterwegs nach Jerusalem berichtet wurde,»  er hatte Hunger, so hatte er nicht nur vergessen zu Frühstücken. Die Gastgeber, seine Freundinnen und Freunde, bei denen er zu Gast waren, hatten kein Brot um ihn Satt von sich zu schicken. Anders ist die Geschichte, aus der Sicht eines Menschen, der schon einmal zu Gast bei mediteranen Leuten war, nicht zu erklären. Sie hatten nichts, womit sie eine Mahlzeit hervorzaubern konnten.

Die Worte des » Vaterunser, werden vom Hunger und der Verschuldung her kommend anders klingen, als wenn die Ohren einer satten und schuldenfreien Person sie hören. Unser tägliches Brot gib uns heute. Vergib uns unsere Schuld. Das sind Apelle, die Nahrung zu sichern und aus der Sklaverei des Verschuldeten oder der Verschuldeten herauszukommen. Ein durch und durch biblischer roter Faden, der mit der Flucht der » Urväter vor Hungernöten nach Ägypten und der » Befreiung aus Ägypten durch Moses von dort, bis über Jesus und hin zu der » Kollekten bei den Kleiasischen Christen für die hungernden in Jerusalem und immer, immer wieder vorkommt.

Ohne wirklichen Hunger ist das Streben nach Freiheit in der Bibel nicht zu denken. Ab und zu haben Kirchen und Christen dies verstanden. Solche haben dann auch angemessen reagiert und "» Suppe, Seife und Seelenheil" in genau dieser Reihenfolge gespendet. Denn genau dort findet sich die Kernbotschaft der Bibel und der wichtigste Auftrag der christlichen Kirche. Denn hungrige, kurz vor dem Verrecken, fliehende, kurz vor dem Ertrinken haben nichts von leeren Worten. Sind einmal die Magen voll, können wir über Sicherheit, soziales Miteinander, Wertschätzung und Selbstverwirklichung reden.
Bereitgestellt: 16.07.2021     Besuche: 21 Monat 
aktualisiert mit kirchenweb.ch