Carlos Ferrer

Die Kirche - meine Wahl

Gedeckter Tisch (Foto: Gallo Images  |  Credit: living4media)

Kirche kann vieles sein.
Ort des Betens. Schule. Gemeinde. Institution. Familie, unserer Wahl. Zufluchtsort. Je nachdem, wie wir zu ihr kommen, ändert sich unser Bild von ihr.
Wie immer wir sie sehen, eins ist wichtig:
Pfr. Carlos Ferrer,
Kirche ist da, wo wir miteinander teilen, was wir haben und was andere brauchen. Der gedeckte Tisch unter dem freien Himmel will dies deutlich machen.

Seitdem ich in Zuchwil vor knapp drei Jahren ankam, ist mir klar geworden, die Kirche ist wie eine Familie. Man trifft sich, man tut etwas miteinander, das ganze Areal der Kirche lebt davon, dass dort gespielt wird. Das Kirchengebäude selbst, etwas versteckt im Quartier, von den Bäumen und halbwegs den Hügel hinauf, will so etwas wie ein Zuhause sein.

Mir wurde klar gemacht, die Zuchwiler Kirche lebt schon seitdem die ersten Konfirmanden und Konfirmandinnen ihre Spur in den Beton des Raumes gesetzt haben. Den Leitspruch der Kirche haben sie selbst ausgesägt:

Ein Gott - ein Mittler - der Mensch Jesus Christus.

Sie haben uns mit Gebäuden und mit einem Vermächtnis beschenkt. Sie sind die Väter und Mütter, die Grosseltern die uns ermöglichen, in der Bühlstrasse 4 und 5 (Jungschi) ein Zuhause zu haben, welches wir beleben dürfen. Sind wir "Gast auf dieser Erde", haben sie den Ton angegeben, der uns prägt:

Das Lärmen und Lachen, wenn die Jungschi im Garten spielt.
Das Singen und Musizieren und das Glockengeläut im Viertelstundentakt.
Die offene Kirche, der Platz für jegliches Gestalten.
Die fleissigen Hände, die stricken und falten und kochen.
Die offene Art, in der wir aufeinander zugehen, miteinander Feiern, der Kirchenkaffee, der länger dauert als der Gottesdienst am Sonntag.

Mir ist klar geworden, die Kirche in Zuchwil ist wie eine Familie, welche dann zusammenkommt, wenn die einzelnen Mitglieder sich angesprochen fühlen:

Zum Friedensgebet oder zum stinoGo (stink-normaler-Gottesdienst)
Zum Kreakafi oder zum Mittagstisch
Zum Zupf-einpacken oder zum Weihnachtsbasar
Zum Singspiel, KUW, Chor- oder Laienmusikprobe
Zum Sommerfest und zur Abdankung der verstorbenen Brüder und Schwestern

Gott sei Dank haben wir uns trotz Trennung in verschiedene Konfessionen, miteinander ökumenisch immer mehr zusammengefunden und pflegen die gute Nachbarschaft. Gott sei Dank finden unsere Kinder und Jugendliche in der Jungschi zusammen, egal woher sie kommen und welche ihre Muttersprache ist.

Als dritter Pfarrer, der aus dem Ausland nach Zuchwil fand, wurde mir klar, ich kann kein "Herr Pfarrer" sein. Ich kann nicht der Vater dieser Gemeinde sein, schon gar nicht Pfarrherr. Ich kann den Ton des Mittagstisches nicht vom hohen Tischende bestimmen und beherrschen. Ich möchte nicht von der Kanzel herunterreden, und den mündigen Menschen sagen, wo lang es geht. Ich bin nicht der Typ, der "pfarrherrlich" agiert. Wenn immer ich das in der Vergangenheit auch nur ansatzweise versuchte, lief das schief, so wie als ob der Schwiegersohn den Schwiegervater von seinem Thron stossen wollte. Geht nicht.

Wenn die Kirche in Zuchwil eine Familie ist, ist dieser Pfarrer der Schwiegersohn, der etwas Neues bringt. Er ist Ansprechperson, hat zwei Arme und Füsse, die mittragen können, ist musikalisch und kann singen, kochen, mitessen, mitdenken und Geschichten aus der Ferne erzählen. Manchmal stellt er Fragen und manchmal bemerkt er den Elefanten im Raum. Manchmal liegt er falsch und fasst Sachen an, die bisher als "heilig" galten. Sagt etwas, welches nicht verstanden wird oder tut etwas Ungewohntes. Schwiegersohn halt.

Was eine Familie braucht, um gesund zu bleiben, ist dass jede und jeder seinen Platz am Tisch weiss. Dass jede und jeder weiss, ihre oder seine Stimme wird gehört und der Beitrag wird geschätzt, der jede und jeder leistet. Dass jede und jeder weiss, hier ist ein sicherer Ort, wo ich mich darauf verlassen kann, dass ich ICH sein darf.

Wenn ich nur eines von Jesus Christus gelernt habe, welches ich weitergeben möchte, dann dies:

"So kommt doch alle zu mir, die ihr euch abmüht und belastet seid: Ich will euch ausruhen lassen." Matthäus 11,28
Alle bedeutet alle.

Eine gesunde Familie freut sich darüber, dass alle ihren Platz am Tisch finden. Egal wer sie sind, was sie ausmacht, woher sie kommen und wann und wohin sie vom Tisch gehen.

Wenn ich nur eins als EUER Pfarrer erreichen darf, dann dies:

Allen ihren Platz warmhalten, alle hören, die etwas zu sagen haben, alle sehen, die etwas zu bringen haben und allen Gutes bringen, welches das Leben etwas leichter macht.

Dies ist mein Ziel, sei es in der Verkündigung der Frohbotschaft oder im Religionsunterricht. Im Trauer- wie im Taufgespräch, im Teilen der Bibel wie im Schreiben eines Briefes, wie diesen hier.

Ob die Familie der Zuchwiler Kirche grösser wird oder kleiner, älter oder jünger, ärmer oder reicher, ist eine Frage für ein Ander mal. Wir werden sie gemeinsam, als Familie beantworten. In dem wir aufeinander hören und vielleicht dabei von Gott inspiriert neue Wege in die Zukunft finden.

Wie auch immer, Kirche ist und bleibt Familie unserer Wahl, wo wir beten, lernen, feiern und vor allem, uns gegenseitig pflegen.

Zuchwil, am 27. Februar 2024


Carlos Ferrer


P.s. Pfrn. » Dietlind Mus nahm diese Gedanken auf in ihrer Predigt zu meiner Amtseinsetzung. Sie führt sie weiter und füllt das Bild von der Kirche als Familie weiter.


Dieser Text ist ein offener Brief an die reformierte (und alle christlichen) Kirchgemeinde(n), die in Zuchwil zuhause ist(sind). Er ist meine Absichtserklärung als Pfarrers, zur Installation in der Kirchgemeinde am 2. März 2024.
Bereitgestellt: 02.03.2024     Besuche: 27 Monat 
Datenschutz   /   aktualisiert mit kirchenweb.ch